3. Woche, 19. bis 23. März 2007

Die dritte Woche war die härteste bis jetzt. Der erste Tag war noch relativ einfach. Wir hatten am Vormittag einen Dreh in einer Disco in Ankara und trotz der überschaubaren Anzahl von Komparsen, die wir zur Verfügung hatten, gelang es, eine gute Stimmung herzustellen und die Discoszene glaubwürdig zu inszenieren.

Die Schauspieler waren auch sehr gut. Navid Akhavan (Ali) ist sowieso immer gut und Pourya Mahyari (Merdad), der erstmals vor einer Kamera steht, sprüht vor Natürlichkeit und Echtheit, was seiner Rolle sehr gut tut. Wenn ich ihm Regieanweisungen gebe, dann ist es oft anders als bei den professionellen Schauspielern, die dann mittels einer Technik die Anweisung in eine spielbare Handlung übernehmen. Es genügt oft, ihm zu sagen, er brauche nicht zu spielen, er solle nur seinem Gefühl nach handeln und es passt fast immer. Schwierig sind für ihn eigentlich nur Szenen, in denen er weinen sollte, aber nachdem ich das beim Proben und bei den Castings bemerkt habe, habe ich seine Rolle auch etwas umgeschrieben und die emotional schwierigen Teile eher auf die Figur des Ali (Navid Akhavan) verlagert. Pourya Mahyari erklärt sich das damit, dass er bisher ein sehr unbekümmertes, glückliches Leben geführt hatte und noch nie das Bedürfnis verspürte zu weinen. Seine Stärke sind dagegen sein Lachen und seine Spontaneität, ah ja - und sein Tanzstil in der Disco, der zumindest die persischen Zuschauer sicher zum Lachen bringen wird.

Am Wochenende beichtete er uns eine lustige Anekdote: Er kam nur zufällig zum Casting. Sein Vater hatte ihm davon erzählt, um ihn zu fragen, ob er denn jemanden kenne, der zum Casting gehen möchte. Er kam dann eher aus Spaß zum Casting, um zu sehen, wie das so ist. Als ich dann von ihm so begeistert war und ihn unbedingt haben wollte, hat er es kaum geglaubt. Er fragte mich immer wieder, ob ich mir auch dessen bewusst bin, dass er keine Ahnung vom „Schauspielen“ hat. Schließlich machte er einen Rückzieher, da seine Eltern von der Idee nicht so begeistert waren, dass ihr Sohn sein Sportstudium für 2 Monate unterbrechen wollte.

Schließlich gelang es der französischen Koproduktion mit den Eltern zu sprechen und die Erlaubnis von der Universitätsleitung einzuholen. Denn die große Angst der Eltern war, dass Pourya durch die 2 Monate ein Jahr verlieren würde und das wollte natürlich niemand. Als all diese Formalitäten und finanziellen Vereinbarungen getroffen waren, konnte Pouryas Vater es immer noch nicht glauben, dass sein kleiner Junge in einem ernsthaften Film mitspielen sollte und das nur aufgrund seiner schauspielerischen Fähigkeiten. Pouryas Vater wollte unbedingt noch wegen einer Sache sichergehen, bevor er seinen Jungen von dannen ziehen lassen sollte und so erbat er bei der französischen Produktionsfirma erneut um einen Termin. Bei diesem Termin erkundigte er sich schließlich darüber, ob ich vielleicht homosexuell sei und seinen Sohn aus anderen Gründen unbedingt für diesen Film haben möchte. Die verdutzte Produzentin beruhigte den Mann und dieser überließ seinen Sohn meiner Obhut. Pourya wollte mir die Geschichte lange nicht erzählen, weil er dachte, dass ich vielleicht beleidigt sein könnte. Ich fand das Ganze sehr amüsant und jetzt ist das zu einem „running gag“ unter den Schauspielern geworden.

Ab Dienstag begannen die Dreharbeiten in einem Hotel im gefährlichsten Viertel Ankaras. Wir wurden gewarnt vor Verbrechen und anderen Kleinigkeiten, doch wir hatten in dieser Woche andere Sorgen. Das Programm war extrem dicht. Am Donnerstag drehten wir ca. 4,5 Filmminuten - was sehr viel ist. Mir wurde gesagt, dass man normalerweise etwa die Hälfte dreht. Am Mittwoch waren einige Szenen mit allen drei Kindern und die waren wieder einmal eine Herausforderung. Der 5 jährige Arman und der 5,5 jährige Kian sind permanent damit beschäftigt, sich gegenseitig zu ärgern, was bei Kian oft in Tränen mündet und bei Arman in unschuldiges Schauen, so, als hätte er nichts getan. Die etwas ältere Elika (7 Jahre) hat sich im Zuge einer derartigen Situation zu mir gewandt und gelangweilt gemeint: „Mit denen kann man nicht spielen, sie langweilen mich!“. Elika ist überhaupt sehr konzentriert und überprofessionell. Zum Beispiel ärgert sie sich maßlos darüber, wenn Kian oder Arman mal in die Kamera blicken. Sie kommt zu mir und beschwert sich, dass dadurch der Film schlecht wird.

Der kleine Kian dagegen ist extrem gut und konzentriert, wenn er alleine ist. Am Donnerstag drehten wir mit ihm eine Szene, in der er mit Behi, seiner Filmmutter, unter der Dusche stehen sollte. Nachdem er aber extrem schamhaft ist und sich laut seiner Mutter kaum vor anderen Leuten umzieht, hatte ich große Angst davor, dass er nur mit einer Badehose vor der Kamera duschen würde. Seine Mutter hatte am Vortag gemeint, er würde es nicht machen. Ich hatte Behi gebeten, mit ihm einmal schwimmen zu gehen und ihn etwas daran zu gewöhnen, doch sie kam bis zum Dreh nicht dazu. Am Vortag hatten der Kameramann Michi Riebl und ich uns noch eine Notfallsvariante der Szene überlegt, in der Kian angezogen im Vorraum der Dusche hätte spielen sollen, statt drinnen. Schließlich überraschte uns Kian. Als ich mir auch einen Bademantel übergezogen hatte und mit ihm und Behi in das kleine Badezimmer ging, war Kian ohne wenn und aber dabei und wir drehten die Szene ziemlich schnell genau so, wie wir es uns ausgedacht hatten, ab.

Nachdem ich am letzten Wochenende den Eltern einiges vom Rohschnitt, den die Cutterin Karina Ressler gemacht hatte, gezeigt hatte, waren sie sehr glücklich und auch die Kinder begriffen erstmals, was es heißt, in einem Film mitzuspielen. Kian, der bis dahin eher schwierig gewesen war, beschwerte sich beim Screening, dass er nicht so oft vorkommt wie die anderen Kinder. Ich glaube, das hat bewirkt, dass er jetzt viel williger dabei ist. Gestern erzählte mir seine Mutter, dass er sie gefragt hatte, wann denn sein nächster Film gedreht wird.

Am Dienstag war auch persisches Neujahrsfest und die Eltern der Kinder kochten persischen Reis mit Fisch und bereiteten uns ein schönes Fest vor. Mehrere Leute vom Team sind ebenfalls dazu gestoßen, als wir um 22:30 Drehschluss hatten. Es wurde gegessen und getanzt und alles in allem war es sehr nett, dass die Eltern diese Initiative gezeigt hatten. Wenn wir schon dieses Jahr nicht mit unserer eigenen Familie feiern konnten, so feierten wir wenigstens mit unserer Filmfamilie.

Freitag war der härteste Tag. Wir hatten eine große Szene mit Feuerwehr und Rettungswageneinsatz und sehr viele Komparsen zu koordinieren. Die Dreharbeiten dauerten bis fast 3 Uhr nachts. Danach waren wir 3 Stunden zu spät zu unserer eigenen Schnapsklappe, feierten aber dennoch bis Sonnenaufgang. Eigentlich vergeht die Zeit ziemlich schnell. Ende nächster Woche sind wir schon in der Halbzeit.

Montag 26.3.2007

Am Montag drehten wir unter anderem auf einem Flohmarkt in Ankara eine Szene mit Fares Fares. Der Dreh verlief problemlos, abgesehen davon, dass nach unserem Dreh die Flohmarktbesitzer plötzlich behaupteten, wir hätten den ganzen Vormittag die Straße gesperrt und müssten jetzt allen Besitzern etwas zahlen! Wir hatten natürlich die Straße nicht gesperrt und es wurden durch unsere Anwesenheit viele Schaulustige angezogen, aber im Angesicht von gefährlich, mafios aussehenden, dunklen Gestalten kann es schon vorkommen, dass sie einem ein Angebot machen, dass man nicht ablehnen kann!

Dienstag 27.3.2007

Heute hatten wir den Dreh eines der emotional wichtigsten Szenen des Filmes. Eigentlich hatte ich mir in der Vornacht gedacht, wenn diese Szene gut wird, wird der Film auch gut. Am Ende des Tages hatten wir die Szene im Kasten und auch viel Gutes gedreht, doch die Hauptdarstellerin hatte aus diversen Gründen eine Blockade und am Ende des Tages hatten wir nicht mehr genug Tageslicht, um noch länger an der Schlusseinstellung zu arbeiten. Vielleicht werden wir einen Teil der Szene nachdrehen. Das heißt, dass ich immer noch nicht sagen kann, ob der Film gut wird oder nicht!

An diesem Tag war es auch wichtig, dass der kleine Kian weint. Zu diesem Zweck hatten wir mit seiner Mutter besprochen, welche Taktik wir anwenden sollen, um ihn - ohne Nachwirkungen - so sanft wie möglich zum Weinen zu bringen! Ich wusste prinzipiell, wie ich ihn zum Weinen bringen konnte, doch ich musste natürlich aufpassen, dass er seine Lust am Weiterfilmen nicht verliert und dass er mich immer noch als seinen Verbündeten am Set sieht.

Seine Mutter hat uns schließlich empfohlen, ihm für kurze Zeit seinen Teddybären wegzunehmen. Sie wusste, dass er darauf immer mit Weinen reagiert. Das war es auch, was wir taten. Wir baten einen der Komparsen, ihm den Teddy wegzunehmen und es hatte den gewünschten Effekt. Und obwohl es mit seiner Mutter abgesprochen war und er sich sofort beruhigte, als der Komparse ihm den Teddy wiedergab, war es herzzerreißend für mich, ihn weinen zu sehen. In der Nacht, als ich mir die Szene auf Video ansah, hatte ich selbst Tränen in den Augen... aber Kian war kurz danach wieder voller Energie und scherzte mit allen herum. Ich glaube, Kinder sind viel weniger nachtragend als Erwachsene und eine Lappalie, wie ein Paar Tränen, sind viel leichter für sie wegzustecken als für Erwachsene. Trotzdem sollte der Komparse, der Kian den Teddybären wegnahm, ihm lieber nicht mehr vor die Augen treten.

Mittwoch 28.3.2007

Der geplante Nachtdreh von 18 Uhr bis 4 Uhr dauerte aus irgendeinem Grund bis 8 Uhr. Das war natürlich katastrophal lang, schlecht für die Stimmung und man musste wegen den 11 Ruhestunden, die nach jedem Arbeitstag den Mitarbeitern zustehen, alles vom nächsten Tag nach hinten verschieben. Eigentlich ist nichts Spezielles passiert, dass uns besonders lang aufgehalten hätte, aber es ist leider so, dass man sich bei so einem dichten Drehplan keine Pause gönnen kann, abgesehen von der halbstündigen Mittagspause. Denn auch nur ein paar Minuten pro Stunde ohne Konzentration bedeuten bei einem 12 Stunden-Drehtag schon 1 bis 2 Überstunden. Hinzu kommt, dass, wenn man mit Schauspielern arbeitet, die keine Filmerfahrung haben, seien es Kinder, Laien oder Theaterschauspieler, immer ein Unsicherheitsfaktor da ist, der eine längere Drehzeit bedeutet.

Dazu kommen andere Unsicherheitsfaktoren wie störende Umgebungsgeräusche beim Dreh außen und natürlich das Wetter. Es ist bereits einige Male vorgekommen, dass wir von bestimmten Einstellungen 2 Varianten drehen mussten, weil nicht vorauszusehen war, wie sich das Wetter im weiteren Tagesverlauf entwickeln wird. Das heißt, man musste eine Einstellung einmal in der Sonne und einmal im Schatten drehen. Auf jeden Fall gab es nach diesem Drehtag mächtigen Stress mit der Produktion und erstmals die Feststellung, dass weitere derartige Tage die Fertigstellung des Filmes ernsthaft gefährden könnten.

Donnerstag 29.3.2007

Der letzte Drehtag in Ankara. Wieder ein Nachtdreh von 17:30 bis 6 Uhr morgens. Nach dem Debakel von gestern war die Stimmung an sich nicht besonders. Kurz vor dem Dreh hatte ich noch ein kurzes Gespräch mit der Produktion über die Probleme, die wir nun hatten wegen den Überstunden und dem hohen Materialverbrauch. Das gab mir schon den Rest, aber der Drehtag hatte erst begonnen.

Am Tagesplan stand eine Schlägerei in einem Doppeldecker-Bus. Zu diesem Zweck hatten wir Numan, einen in Deutschland lebenden Kurden mit Schauspiel- und Kampfchoreografie-Erfahrung, eingeflogen. Er sollte mit 2 Komparsen eine Gruppe von Anhängern der „Grauen Wölfe“, einer ultranationalistischen Partei in der Türkei, verkörpern. Er erzählte mir, dass er lange überlegt hatte, ob er es moralisch vertreten kann, als Kurde einen der Erzfeinde zu verkörpern. Schließlich hatte er sich dazu entschieden, weil die Szene ja gegen die „Grauen Wölfe“ sei.

Die Dreharbeiten fanden im oberen Stockwerk des Doppeldeckerbusses statt. Im unteren Teil waren einige Leute vom Team untergebracht und im oberen das Kamera-, Licht- und Regiedepartment. Er war sehr eng und man hatte das Gefühl, dass die Aggression der Szene auch manchmal auf einige Teammitglieder übergriff. Vielleicht war es auch die Müdigkeit der letzten Nachtdrehs und der Druck, keine Überstunden mehr machen zu dürfen. Der Vorteil dieser Situation war jedoch der, dass alle ziemlich konzentriert gearbeitet haben und wir im zeitlich vorgesehenen Rahmen geblieben sind. Leider gab es das übliche Problem mit einem völlig unbegabten Komparsen. Nicht nur, dass er keine Anweisungen befolgen konnte, er grinste auch permanent in den Szenen, in denen er eigentlich den bösen Buben spielen sollte. Was auf den ersten Blick vielleicht amüsant klingt, brachte uns zum Verzweifeln. Nicht nur, dass wir unnötig Material verbrauchten, der grinsende Komparse brachte Fares Fares zu seinem ersten Schreianfall.

Zum Abschluss der Szene sollte der Bus stehen bleiben und die 3 Schläger aussteigen und weggehen. Es war geplant, dass einer der Schläger sich noch umdreht und mit den Fingern das Zeichen der „Grauen Wölfe“ macht. Als Numan dies bei der Probe tat, erwachten unsere unbegabten Komparsen plötzlich zu neuem Leben und weigerten sich weiter zuspielen, sollte das Zeichen, wie geplant, gezeigt werden. Zu unserem Erstaunen gaben beide an, bei den „Grauen Wölfen“ zu sein! Der untalentierte „Grinser“ stellte sich sogar als der Fahrer eines ranghohen Mitglieds heraus. Numan kam schließlich zu mir und meinte, wenn wir trotzdem auf das Zeichen bestehen, genügt es, wenn die 2 einige Telefonate führen und innerhalb von wenigen Minuten ist ein Schlägertrupp da, um uns zu verprügeln. Wären wir nicht schon so müde und wäre es nicht schon 5 Uhr, hätten wir es sicher darauf angelegt und uns mit Stativköpfen die „Birnen“ gegenseitig eingeschlagen. Doch dazu kam es nicht, denn ich überlegte mir schnell eine spontane Variante, wie wir den Hinweis auf die „Grauen Wölfe“ trotzdem drehen konnten, ohne gleich eine Tracht Prügel dafür zu bekommen, doch mehr dazu im Film...  

Freitag 30.3.2007

Heute war der Reservetag, den wir nicht nutzen müssen, weil wir bisher alles fertig gedreht haben, allerdings mit einigen Überstunden. Heute kam meine Freundin Heidrun für ein paar Tage zu Besuch und ich freute mich schon darauf. Heute war unser Bergfest (Feier, die man nach der Hälfte des Filmes macht). Beim Bergfest kam Michael Katz, der Ausführende Produzent zu mir und bestätigte mir, dass eigentlich alles für ihn überraschend gut läuft und ich mir keine Sorgen machen soll. Das war wichtig und richtig aufbauend für mich, da ich in den letzten Tagen immer nur von den Problemen - Überstunden und hoher Materialverbrauch - gehört hatte und nie etwas über den Film oder unsere Arbeit selbst.


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